Mitarbeiterbefragungen und People Analytics – Warum Befragungen ohne einen analytisch gestützten Folgeprozess gefährlich sind
Eine Mitarbeiterbefragung ist heutzutage schnell durchgeführt. Dienstleister stellen Musterfragebögen zur Verfügung, die Befragung kann online eingerichtet und relativ automatisiert ausgespielt werden. So wird der früher oftmals beachtliche Aufwand mit Papierfragebögen (Paper & Pencil) deutlich reduziert und die Befragung von Mitarbeiter:innen lässt sich routinemäßig in der Personalarbeit einsetzen.
Der große potentielle Mehrwert von Mitarbeiterbefragungen ist dabei schon lange bekannt. Weniger bekannt sind aber die negativen Effekte und Gefahren, die bei leichtfertig durchgeführten Befragungen entstehen können. In diesem Artikel erfahren Sie, was für eine erfolgreiche Mitarbeiterbefragung wichtig ist und wie Sie potentielle Klippen umschiffen.
Inhalt
Die Stimme der Mitarbeiter:innen – das zeigen die Hawthorne-Experimente
Die positive Wirkung von Befragungen wurde schon in den Hawthorne-Experimenten ab dem Jahr 1939 aufgedeckt [1], in denen eigentlich der Einfluss der Arbeitsbedingungen auf die Arbeit (hier insb. die Arbeitsproduktivität) untersucht wurde. Eine damals überraschende Erkenntnis: Wenn Mitarbeiter:innen zu ihren Meinungen, Erfahrungen und Bedürfnissen befragt werden, wenn man ihnen und ihrer Stimme „ein Ohr schenkt“, wirkt sich das positiv auf ihr Wohlbefinden und damit auch auf ihre Leistung aus. Nicht umsonst gelten die Hawthorne-Experimente heute als Geburtsstunde der Personal- und Organisationsentwicklung, der „Human-Relations-Bewegung“ und der mitarbeiterorientierten Unternehmensführung.
Ein Wort der Warnung: Negative Effekte von Mitarbeiterbefragungen
Nun sind viele Erkenntnisse der Hawthorne Experimente heute umstritten und teilweise revidiert [2]. Das gilt auch für den entdeckten positiven Effekt von Mitarbeiterbefragungen. Dieser ist zwar vorhanden, nimmt aber meistens schnell wieder ab. Und noch schlimmer, er kann sich sogar in einen negativen Effekt umkehren, wenn nach der Befragung keine Bemühungen folgen, die Arbeitsbedingungen auf Basis der Befragungsergebnisse auch wirklich zu verbessern.
Diese Warnung hat sich auch schon früh in der Fachliteratur [3] etabliert: Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung dürfen nicht „in der Schublade“ verschwinden.
Mitarbeiterbefragungen müssen
- gründlich und mit dem erforderlichen methodischen Knowhow ausgewertet,
- priorisiert,
- möglichst transparent kommuniziert und
- tatsächlich in Management-Initiativen zu den identifizierten Problembereichen einfließen.
Denn sonst schleicht sich bei den Mitarbeiter:innen schnell der Verdacht ein, das „offene Ohr“ wäre nur vorgeschoben und die Befragung diene gar nicht dazu, ihre Meinungen und Bedürfnisse wirklich zu berücksichtigen.
So wirken Mitarbeiterbefragungen
Oder anders, etwas wissenschaftlicher formuliert: Es lassen sich zwei zentrale Wirkmechanismen von Befragungen unterscheiden.
Der erste Mechanismus zielt auf eine direkte Wirkung auf die Befragten ab. Diese lässt sich schon durch die bloße Durchführung der Befragung erreichen. Der Effekt ist aber meist nur von kurzer Dauer und eng an den zweiten Wirkmechanismus gekoppelt.
Der zweite Wirkmechanismus läuft indirekt über den Folgeprozess der Befragung. Hierzu werden die zentralen Erkenntnisse aus der Befragung verwendet, um gezielte Maßnahmen und Veränderungsprozesse einzuleiten. Die Wirkung erfolgt also nicht allein über die Befragung selbst, sondern zusätzlich über den Folgeprozess und die dadurch erzielte Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
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Ein Wort der Warnung
Die positive Wirkung einer Befragung lässt sich also verstärken, wenn sie mit einem zielgerichteten Folgeprozess gekoppelt wird. Aber umgekehrt gilt auch: Bleibt dieser Folgeprozess aus, kann sich der gewünschte positive Effekt ins Gegenteil umkehren.
Diese negativen Folgen beobachten wir auch oft selbst, wenn wir als Dienstleister in solche unvollständigen Befragungsprozesse eintreten: Sie reichen von einer sinkender Arbeitszufriedenheit (die auch noch tiefer sinken kann als vor der ersten Befragung) über kontinuierlich sinkende Teilnahmeraten bis hin zu einem insgesamt sinkenden Engagement. Das ist auch verständlich – wozu auch immer wieder an den Befragungen teilnehmen, wenn sich dadurch sowieso nichts verändert.
Diese Warnung gilt übrigens in besondere Weise für neuere Befragungsformen wie Pulsbefragungen, die nicht in ein übergreifendes Befragungskonzept mit verbundenen Folgeprozessen eingebettet sind. Zwar sind die in kurzen Abständen gewonnenen Messpunkte sehr wertvoll, Pulsbefragungen zielen schon von ihrer Grundidee her mehr auf eine direkte Wirkung auf die Befragten ab. Für gerichtete Folgeprozesse sind sie aber schlicht zu kurz – es fehlen die benötigten Informationen (dazu weiter unten mehr) und vor allem auch die Zeit zwischen den Befragungen, um diese Folgeprozesse einzuleiten. Die beschriebenen negativen Folgen – vor allem eine stark sinkende Teilnahmerate – stellen sich oft schon überraschend schnell ein.
Analytisch gestützte Folgeprozesse: So einfach geht es
Leichter gesagt als getan: Wie lässt sich aus einer Mitarbeiterbefragung heraus ein erfolgreicher Folgeprozess anstoßen?
Hierzu müssen die Ergebnisse wie beschrieben gründlich ausgewertet und priorisiert werden, damit auf die genauen Erfordernisse abgestimmte und zielwirksame Maßnahmen abgeleitet werden können. Und genau hier kommt People Analytics ins Spiel als eine Methode, mit der die gewonnenen Daten systematisch für die Umsetzung von Folge- und Veränderungsprozessen aufbereitet werden können.
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In den Hawthorne-Studien wurden die Befragungsdaten noch mithilfe recht einfacher, aber den damaligen wissenschaftlichen Standards folgenden Analyseverfahren ausgewertet. Diese Verfahren sind aber lediglich dazu geeignet, auf relativ abstraktem Niveau Ist-Zustände (z.B. wie ist die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit in den verschiedenen Teilnahmegruppen?) und einfache Zusammenhänge zu beschreiben (sog. „Korrelationen“, z.B. beeinflusst der Führungsstil die Arbeitszufriedenheit?). Ein solches Vorgehen findet man in der wissenschaftlichen Forschung heute kaum mehr – hier dienen diese einfachen statistischen Verfahren lediglich einer ersten Beschreibung und Qualitätskontrolle der Daten.
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Die Praxis steckt in alten Mustern fest
Auf diesem einfachen methodischen Niveau bleiben jedoch auch heute noch die meisten Mitarbeiterbefragungen stehen. Die Kenntnis der durchschnittlichen Arbeitszufriedenheit ist zwar erstmal interessant, die entscheidende Information für einen zielgerichteten Folgeprozess aber fehlt: Warum ist die Zufriedenheit auf dem beobachteten Niveau, welche Faktoren sind hierfür verantwortlich, und welche Faktoren liefern einen geeigneten Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Arbeitszufriedenheit? Erst diese Erkenntnisse ermöglichen die Ableitung gezielter Maßnahmen, die die wahrgenommene Arbeitssituation der Mitarbeiter:innen dann auch tatsächlich verbessern.
Hierfür reichen die oben beschrieben einfachen Analyseverfahren aber nicht aus. Vielmehr bedarf es fortgeschrittener Verfahren, mit denen der statistische Zusammenhang zwischen verschiedenen Faktoren untersucht werden kann (sogenannte multivariate Analyseverfahren; in der Praxis oft auch „Ursache-Wirkungsanalysen“ oder „Treiberanalysen“ genannt). Zu dieser Gruppe zählen z.B. einfache Regressionsverfahren bis hin zu modernen Verfahren des maschinellen Lernens wie z.B. neuronale Netze [4].
Mit diesen fortgeschrittenen Verfahren lassen sich die verschiedenen Themenbereiche der Befragung systematisch untersuchen und mit Blick auf ihre Wirkung auf relevante KPIs – z.B. die Arbeitszufriedenheit, Bindung oder Weiterempfehlung der Mitarbeiter:innen – priorisieren.
So können Maßnahmen gezielt in den als problematisch identifizierten Bereichen eingeleitet werden. Stellt sich z.B. durch die Analyse heraus, dass ein spezifisches Verhalten der Führungskräfte von den Mitarbeiter:innen schlecht bewertet wird, aber gleichzeitig einen starken Einfluss auf den KPI hat, können Führungskräfte z.B. durch ein passendes Training in diesem Bereich gezielt weitergebildet werden. So kann z.B. die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter:innen gezielt über den zugrunde liegenden Wirkzusammenhang der Führung verbessert werden.
Schließlich sind vor allem Verfahren des maschinellen Lernens in der Lage, offene Antworten und Kommentare der Mitarbeiter:innen vollautomatisiert auszuwerten. Dabei können nicht nur Sprachen und Sentimente (d.h. die Stimmung des Kommentars) bestimmt werden, auch eine automatische Kategorisierung der Antworten zu den besprochenen Themenbereichen ist möglich. Damit entfällt die oft aufwendige manuelle Auswertung der Kommentare und es entsteht direkte Handlungsrelevanz: So werden wichtige Themenfelder sichtbar, die bisher nicht direkt abgefragt wurden, die Mitarbeiter:innen aber aktuell stark beschäftigten.
In einem weiteren Schritt können auch diese Themenbereiche auf ihren Zusammenhang z.B. zur Arbeitszufriedenheit untersucht werden, um vielversprechende Ansatzpunkte für Maßnahmen und Folgeprozesse zu identifizieren.
Fazit
Es bleibt also festzuhalten: Mitarbeiterbefragungen sind ein sehr nützliches und wirkungsvolles Instrument. Um ihre volle und langfristige positive Wirkung zu entfalten, müssen sie aber mit zielgerichteten Folgeprozessen kombiniert werden. Und genau hier kann People Analytics seine Stärken ausspielen. People Analytics mit seinen leistungsfähigen Analyseverfahren liefert nicht nur tiefergehende und zuverlässigere, sondern auch zielgerichtetere Erkenntnisse, die für die Umsetzung erfolgreicher Folgeprozesse zwingend erforderlich sind. So lassen sich Problembereiche und Verbesserungspotenziale im Unternehmen identifizieren und zielgenau adressieren. Und den Mitarbeiter:innen wird gezeigt, dass ihre Stimme nicht nur gehört, sondern auch wertgeschätzt und aktiv zur Weiterentwicklung des Unternehmens eingesetzt wird.
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Mehr Informationen[1] Roethlisberger, F. J./Dickson, W.J (1939). Management and the Worker. Cambridge: Harvard University Press.
[2] Kieser, A. (2006): Human Relations-Bewegung und Organisationspsychologie. In: Kieser, A./Ebers, M. (Hrsg.). Organisationstheorien. Stuttgart: Kohlhammer. 133-167.
[3] Borg, I. (2003). Führungsinstrument Mitarbeiterbefragung: Theorien, Tools und Praxiserfahrungen (3., überarb. und erw. A.). Hogrefe-Verlag.
[4] Huff, Julian & Ebert, Julia (2018). Studying Interactions between Management Activities – A Comparison of Hierarchical Linear Models and Neural Networks on the Example of SHRM. In: Huff, J. (2018): Studying Human Resource Management as a Complex Phenomenon: A Systems-based Approach to HRM System Effectiveness, München: HCMembers Verlag.
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