360-Grad-Feedbacks verbreiteten sich in den letzten zwei Jahrzehnten rasant über alle Unternehmensbranchen und Führungsebenen hinweg. Doch was genau sind 360-Grad-Feedbacks eigentlich? Wie unterscheiden sie sich von anderen Feedback- und Befragungsformen? Wie geht man bei der Umsetzung vor? Und warum sind sie ein so wichtiges Instrument für die Führungskräftebewertung?
Was sind 360-Grad-Feedbacks?
360-Grad-Feedbacks sind subjektive Assessments mehrerer, mit dem Feedbacknehmenden zusammenarbeitender Rater:innen bezüglich vorher festgelegter Kriterien (in Anlehnung an Hurley, 1998). Es handelt sich also um ein Multirater-Feedback, bei dem verschiedene (Führungs-) Kompetenzen auf Basis des alltäglichen Verhaltens der Führungskraft eingeschätzt werden.
Diese Grundmethodik wurde zuerst im militärischen Umfeld, später dann in der IT-Branche eingesetzt und verbreitete sich schnell international und branchenübergreifend. 360-Grad-Feedbacks werden dabei auf allen Führungsebenen genutzt. Der Begriff selbst wurde in den neunziger Jahren durch das Beratungsunternehmen TEAMS Inc. geprägt (Edwards & Ewen, 1996).
Der Erfolg von 360-Grad-Feedbacks basiert auf zwei Grundideen: Feedback von mehreren vertrauten Personen erhöht zunächst die Fähigkeit des Feedbacknehmenden zur Selbsterkenntnis (Church & Bracken, 1997). Bekommt eine Führungskraft also regelmäßig differenzierte Rückmeldungen von Menschen aus ihrem Arbeitsumfeld, so entwickelt bzw. verstärkt das ihre Fähigkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen. Zudem wird auch die Akzeptanz des Feedbacks gesteigert, weil die Bewertung von mehreren unabhängigen Personen kommt und diese sich den „Aufwand“ des Feedbackgebens freiwillig gemacht haben (Westerman & Rosse, 1997).
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Wie unterscheiden sich 360-Grad-Feedbacks von anderen Befragungen?
360-Grad-Feedbacks grenzen sich in mehreren relevanten Merkmalen von anderen Befragungs- und Feedbackformen ab (Hurley, 1998):
Mehrere Informationsquellen: Es handelt sich um Multirater-Feedbacks, d. h. die Rückmeldungen kommen von verschiedenen Personen, was die Validität z. B. im Vergleich zu einfachen Feedbackgesprächen mit Vorgesetzten steigert.
Multidirektionalität: Nicht nur bewerten mehrere Personen, auch kommen diese aus verschiedenen Positionen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, von oben, von unten und lateral.
Vertrautheit: Rater:innen und Führungskraft kennen sich gegenseitig gut und interagieren im Arbeitsalltag regelmäßig miteinander. Sie sind Experten für die Stärken und Schwächen des jeweils anderen.
Individualisierung: Sowohl abgefragte Kompetenzen als auch eingesetzte Rater:innen sind im Unterschied zu herkömmlichen Mitarbeiterbefragungen auf die jeweilige Führungskraft individuell zugeschnitten.
Regelmäßigkeit: 360-Grad-Feedbacks finden geplant und regelmäßig (oft einmal pro Jahr) statt. Sie unterscheiden sich so z. B. von einmaligen Development Centern und von spontanen Puls-Befragungen.
Machbarkeit: Zwar sind 360-Grad-Feedbacks für das Unternehmen sehr ressourcenaufwändig, die benötigte Zeit für jede einzelnen Rater:in ist mit ca. 10-15 Minuten aber überschaubar.
Wessen Feedback wird einbezogen?
Hauptmerkmal des 360-Grad-Feedbacks ist es, dass mehrere Personen aus mehreren Rollen innerhalb und außerhalb des Unternehmens eine Führungskraft bewerten. Im Folgenden ist aufgeführt, welche Personen genau das sind und was sie zum Feedback beitragen können. Wichtig dabei ist anzumerken, dass man für ein erfolgreiches Führungsfeedback nicht zwingend alle Personengruppen einbeziehen muss. Wenn aus Machbarkeitsgründen eine oder mehrere Gruppen wegfallen, dann ist es immer noch besser, die verbleibenden Gruppen z. B. als 180-Grad-Feedback zu befragen, als gar keine Rückmeldungen einzuholen.
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0°
Die Selbsteinschätzung der Führungskraft stellt die Grundsäule eines jeden Führungsfeedbacks dar. Denn allein durch den Abgleich von eigenen und fremden Eindrücken wird bereits ein Lernprozess in Gang gesetzt. Die Führungskräfte kennen ihre persönliche Situation am besten und wissen, was ihnen im Arbeitsalltag leicht oder schwer fällt.
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90°
Die der Führungskraft unterstellten Mitarbeiter:innen erleben die Führungskraft fast ausnahmslos jeden Tag und sind deshalb Experten, wenn es um deren Sozial- und Fachkompetenzen geht. Sie können z. B. gut einschätzen, wie effektiv die Führungskraft Konflikte löst oder wie gut sie bei fachlichen Fragen helfen kann.
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180°
Die direkten Vorgesetzten der Führungskraft kennen deren Potenzial und Entwicklungsverlauf. Sie können beurteilen, wie gut Ziele gesetzt und umgesetzt werden und müssen etwaige Entwicklungsmaßnahmen formal absegnen.
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270°
Kollegen der gleichen Führungsebene kennen die Herausforderungen von Führungsarbeit in ihrem Unternehmen und können die Entscheidungen der Führungskraft dementsprechend einordnen. Sie sind außerdem mit Führungsmethodik vertraut und können diese bewerten.
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360°
In für das Unternehmen besonders kritischen Situationen haben Kunden und Partner mit der Führungskraft zu tun. Sie können deren Fachkompetenz beurteilen und erleben deren Umgang mit anderen Angehörigen des Unternehmens.
Wie geht man bei einem 360-Grad-Feedback vor?
Das Vorgehen bei einem 360-Grad-Feedback unterscheidet sich nicht grundlegend von anderen Befragungs- oder Feedbackformen. Begonnen wird mit einer umfangreichen Planungsphase, bevor die eigentliche Durchführung kommt. Daran schließen sich Auswertung, Folgemaßnahmen und deren Evaluation an (in Anlehnung an Pelz, 2022). Der größte Unterschied im Vergleich zu anderen Feedbacks ist der kommunikative Mehraufwand, der durch die Einbindung so vieler verschiedener Stakeholder entsteht.
Die Planungsphase beginnt mit der Auswahl der zu feedbackenden Person sowie der Bewertungskriterien. Geht es um ein ganz bestimmtes Entwicklungsfeld? Oder soll eine ganze Bandbreite an Führungs- und Fachkompetenzen bewertet werden? Im Anschluss werden die Rater:innen ausgewählt und informiert. Wie viele Personen aus welchem Bereich sollen beteiligt werden? Bewerten sie alle die gleichen Dimensionen oder gibt es Unterschiede? Wie sollen die Bewertungen gewichtet werden? Es folgt die eigentliche Durchführung des 360-Grad-Feedbacks. Unterlagen bzw. Links müssen verteilt, ein etwaiges Zeitlimit kommuniziert und Erinnerungen verschickt werden. Nun werden die Daten zusammengetragen und gegebenenfalls passend aufbereitet. Nach der rein statistischen Analyse folgt die visuelle Aufbereitung. Hier ist es wichtig festzulegen, wer wann welches Ergebnis erhält. Werden alle Ergebnisse für alle Stakeholder transparent gemacht? Bekommen einzelne Rater-Gruppen nur Ausschnitte oder Zusammenfassungen? Oder liegt die Entscheidung darüber bei der betroffenen Führungskraft? Dieser werden die Ergebnisse im Rahmen eines umfassenden Feedbackgespräches präsentiert. Ein Entwicklungsplan wird erstellt, der konkrete Maßnahmen ableitet. Schließlich kommt es – und das wird oft vergessen – zur Erfolgskontrolle der absolvierten Maßnahmen durch ein erneutes 360-Grad-Feedback oder eine gezielte Maßnahmenevaluation.
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Vor- und Nachteile
Potenzielle Nachteile von 360-Grad-Feedbacks
Es gibt einige Risiken, die man für eine erfolgreiche Durchführung von 360-Grad-Feedbacks vermeiden oder zumindest verringern sollte. Diese betreffen die Antworten der Rater:innen. Es könnte zunächst zu KPI-konformen Antworten kommen, die bewusst oder unbewusst gegeben werden. Auch könnten die Angaben durch die zu bewertende Führungskraft unerlaubt beeinflusst werden. Umgekehrt könnte es zum „Ablassen“ von Unzufriedenheit über die Führungskraft und damit zu nur wenig konstruktivem Feedback kommen. Vorbeugen kann man all dem durch absolute Anonymität der Antworten, z. B. durch ausreichend große Gruppen der Befragten, sowie durch Ergebnistransparenz.
Hat man diesen Antwortmustern entgegengewirkt, steht einer erfolgreichen Umsetzung kaum noch etwas im Wege. Bewusst sein sollte man sich über den finanziellen und zeitlichen Aufwand, den ein 360-Grad-Feedback verursacht und der v. a. durch die starke Individualisierung entsteht. So werden 360-Grad-Feedbacks vermehrt von großen Unternehmen eingesetzt, die die notwendigen Ressourcen dafür aufbringen können. Auch braucht es eine vergleichsweise lange Vorlauf- und Planungsphase, bevor mit dem Feedback begonnen werden kann. Zur Lösung akuter Konflikte eignen sich 360-Grad-Feedbacks deshalb weniger.
Vorteile von 360-Grad-Feedbacks
Dennoch bietet das Feedback Format unzählige Vorteile für Unternehmen. So sind 360-Grad-Feedbacks sehr valide, individualisiert, besonders gut akzeptiert und bewerten Führung on-the-job. Sie fördern im Zusammenspiel mit geeigneten Folgemaßnahmen sowohl die persönliche Entwicklung der Führungskraft, die Effizienz ihres Teams als auch die Führungsqualität in der Gesamtorganisation. Als Feedbackinstrument machen sie Konflikte sichtbar und bieten Transparenz über die Anforderungen an eine Führungsrolle im Unternehmen. Der entstehende Erkenntnis- und Kompetenzgewinn rechtfertigt den Einsatz von 360-Grad-Feedback also problemlos.
Das Multirater-Feedback ist im Kontext der Führungskräftenentwicklung somit ein hilfreiches Instrument für die Personalarbeit. Zum Abschluss hier nochmal die Vor- und Nachteile auf einen Blick:
Vorteile |
Nachteile |
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Church, A. H., & Bracken, D. W. (1997). Advancing the state of the art of 360-degree feedback: Guest editors‘ comments on the research and practice of multirater assessment methods. Group & Organization Management, 22(2), 149-161.
Edwards, M. R., & Ewen, A. J. (1996). How to Manage Performance and Pay With 360-Degree Feedback: Multisource assessment can work for both performance and pay management when participants know the system is fair. But doing it right requires a commitment. Compensation & Benefits Review, 28(3), 41-46.
Hurley, S. (1998). Application of team‐based 360° feedback systems. Team Performance Management: An International Journal.
Pelz, W. (2022). 360 Grad Feedback: Definition, Ablauf und Erfolgsfaktoren. Institut für Management-Innovation. https://www.360-grad-feedback.net/
Westerman, J. W., & Rosse, J. G. (1997). Reducing the threat of rater nonparticipation in 360-degree feedback systems: An exploratory examination of antecedents to participation in upward ratings. Group & Organization Management, 22(2), 288-309.
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